"Wenn Ihnen die Hutschnur reißt, dann war die ganze Arbeit umsonst."

Ein Interview mit der Hutmacherin Ute Flemming.

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Wie entstehen eigentlich Hüte? Diese Frage hatte ich mir vorher nie gestellt, bis ich bei einem meiner Streifzüge durch Köln zufällig in der Marienstraße 69 in Ehrenfeld landete. Zur großen Überraschung entdeckte ich dort nämlich die Hutfabrik Flemming, die letzte Hutmanufaktur Deutschlands, in der Hüte noch nach alter Tradition mit der Hand industriell hergestellt werden. Geführt wird sie von Ute Flemming. Einst die erste Hutmacherin Deutschlands überhaupt, übernahm sie 2013 nach dem Tod ihres Vaters die Leitung des Familienbetriebs und führt ihn nun erfolgreich in der vierten Generation weiter. Während es in den 80ern in der Textilindustrie einen großen Umbruch gab, bei dem die meisten Hutfabriken Pleite gingen oder die Produktion nach Fernost verlagerten, ging die Hutfabrik Flemming den schwierigen Weg. In der größten Krise kehrte man zum Ursprung zurück und besann sich auf das Handwerk. Genau das zahlte sich schließlich aus. Obwohl es ein aussterbender Beruf ist, könnte die Auftragslage heute kaum besser sein. Mit handgefertigten Hüten von hoher Qualität beliefert die Hutfabrik die Film- und Fernsehbranche, den Karneval, Theater und viele andere Kunden im In- und Ausland. Selbst Russell Crow trug in einem Film einen Hut der Marke Flemming. In diesem Jahr feiert die Hutfabrik ihr 50-jähriges Bestehen. Ein guter Anlass ihr einen Besuch abzustatten und ein Interview mit Frau Flemming zu führen. 

Seit 50 Jahren gibt es die Hutfabrik nun an Ort und Stelle. Werden Sie das Jubiläum irgendwie feiern?
Wir veranstalten am 18. August ein Sommerfest. Dann gibt es für unsere Kunden ab 11 Uhr einen Tag der offenen Tür, an dem wir ein bisschen zeigen werden, wie wir hier produzieren. Es wird etwas zu Trinken und zu Essen geben.

Sie führen die Familientradition des Hutmachens nun in der vierten Generation fort. Ihr Ur-Großvater und Großvater waren Hutmacher in Berlin. Was wissen Sie über ihre Geschichte?
Die Firma Flemming wird etwa zwischen 1890 und 1905 entstanden sein. Die genauen Zahlen sind uns leider nicht bekannt, weil sie durch den Krieg verschütt gegangen sind. Zuerst war unsere Fabrik in Luckenwalde. Nach dem Ersten Weltkrieg ist sie dann nach Berlin in die Innenstadt umgezogen, direkt 500 Meter Luftlinie vom Brandenburger Tor entfernt. Dort haben wir produziert. Zu der Zeit wurde die Firma noch von meinem Ur-Großvater geleitet. Später ist auch mein Großvater mit eingestiegen. Zu besten Zeiten hatte die Firma 180 Angestellte. Generell gab es bis 1986 in West-Deutschland 6,4 Millionen Beschäftigte in der Textilindustrie und alleine 800.000 in der Hutindustrie. Damit man ungefähr eine Vorstellung hat, wie viele da beschäftigt waren.

Wie kam es, dass ihr Vater Jochen Flemming aus Berlin weggegangen ist? Warum hat er ausgerechnet Köln auserkoren?
1961 ist die Grenze geschlossen worden. Kurz davor hat mein Vater sein Bündel geschnappt und im Betrieb gesagt: „Tut mir Leid, das geht nicht! Ich kann hier nicht bleiben - ich will rüber.“ Wir hatten damals den Vertrieb und das Lager im Westen, aber die Produktion im Osten. Die Stadt war ja vorher nicht getrennt, da gab es kein Ost und West. Ein Jahr hat mein Vater dann versucht, in West-Berlin Fuß zu fassen und dort wieder alles aufzubauen. Aber die Emotionen waren zu stark - vieles war nach dem Krieg zerstört: Seine ganze Familie, die er nie wieder gesehen hat, war drüben geblieben, ebenso viele Freunde und der Großteil seiner Kontakte. Das hat er nicht ausgehalten und wollte irgendwo anders hin. Zu der damaligen Zeit war der Name Flemming international bekannt. Er hatte ein Angebot bekommen und ist darauf hin nach Zürich in die Schweiz gegangen, um dort eine Firma zu leiten. Als Deutscher ist er mit der Mentalität der Schweizer allerdings nicht so parat gekommen. Insbesondere in den 60ern war das ja noch ein bisschen anders dort, die Rechte der Frauen waren zum Beispiel noch nicht wirklich vorhanden. Meine Mutter hatte damit große Probleme. Sie war Friseurmeisterin, aber nicht selbstständig, sondern angestellt und ist mit der Situation überhaupt nicht klar gekommen. 1965 dann ist mein Vater nach Köln gekommen und hat hier zunächst als Geschäftsführer die Firma Gasten (eine Hutfabrik) übernommen, die damals rund 1000 Mitarbeiter hatte. Zwei Jahre hat er sie erfolgreich geführt, dann aber gemerkt, dass das nicht seins ist. Schließlich hat er mit einem Kompagnon, dem Herrn Lenzen, hier im Haus die Firma übernommen - eine kleine Hutfabrik mit 18 Angestellten. Gemeinsam haben die hier alles neu aufgestellt. Zu der Zeit hat man in erster Linie für Konzerne gearbeitet. Das war damals so: 90 Prozent der Textilien mussten in Europa produziert werden, sonst wurde man mit Zöllen belegt. Dadurch war die Infrastruktur in der Region gut ausgebildet. In Mönchengladbach gab es tolle Seiden- und Samtwebereien, die weltberühmt waren. Es gab mehrere Produktionen von Stumpen hier, aus denen die Hüte gemacht werden, natürlich gab es auch diverse Hutfabriken. Das funktionierte alles super.

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Links: Ute Flemming bei der Arbeit. Sie führt den Familienbetrieb in der vierten Generation weiter. Ihr Vater Jochen Flemming (rechtes Bild) verließ Berlin und gründete 1968 den Betrieb in Köln-Ehrenfeld. (© Daniel Zakharov)

Wie sind ihre Kindheitserinnerungen an die Hutfabrik? Haben sie viel Zeit im Betrieb verbracht? 
Ich bin hier aufgewachsen und schon als ganz kleiner Panz in der Firma rumgelaufen. Früher gab es hier Kreidestriche auf dem Boden, damit ich wusste, wo ich hin durfte und wo nicht. Da, wo ein Kreidestrich war, war es entweder heiß oder scharf oder ich konnte mich anderweitig verletzen. Da durfte ich nicht hin und da gab es auch direkt eine Ansage, wenn ich mich nicht daran gehalten habe. Für ein kleines Mädchen war das hier ganz toll. Wir hatten hier ganz viele Garnituren, es gab Glitzerbroschen, die ich sortieren durfte. Ach Gott, war das schön! Man fing einfach sofort an, irgendwas zu machen und zu basteln. Während meiner Schulzeit habe ich natürlich überall angepackt, wo Not am Mann war und wenn es nur darum ging, Sachen einzupacken, auszupacken oder zu sortieren. Es ist schließlich ein Familienbetrieb. Dementsprechend ist man da ein bisschen mit reingewachsen, auch wenn ich damals immer gesagt habe, dass ich unbedingt etwas anderes machen will und auf gar keinen Fall Hüte.

Wollten Sie nicht in die Fußstapfen Ihres Vaters treten?
Nein, man möchte ja auch mal was anderes kennenlernen und machen. Nach dem Abitur habe ich erstmal studiert. Das war für mich auch gut so, denn mit 18, 19 bei Papa im Betrieb, das halte ich für ein bisschen schwierig. So war es ganz gut, sich erstmal selbst die Hörner abzustoßen. Ich war eine Einser-Kandidatin in der Schule, habe ein Einser-Abi gemacht, wollte Paläontologie studieren. Dafür brauchte ich ein Vordiplom und habe Bio studiert. Kurz bevor ich mit dem Studium durch war, wurde Paläontologie aber gestrichen. Dann habe ich eben Sport mit dazu genommen. Mit zwei Diplomen begann ich im Reha-Bereich und als Trainerin zu arbeiten, stellte aber bald fest, dass das alles schön, aber nicht das ist, was ich mein Leben lang machen will. Bei meinem Vater ist in dem Moment viel in Bewegung gekommen. Er begann auf Messen zu fahren und aktiv an den Endverbraucher ranzugehen. 91 hatte ich mein Abi gemacht, 95 mein Studium und meine Diplome abgelegt. Schon während dieser Zeit hat er praktisch immer wieder meine Hilfe benötigt. Das hat mir dann auch Spaß gemacht. Wir haben dann überlegt: Was machen wir jetzt? Mein Vater brauchte ganz dringend Hilfe und so habe ich beschlossen, eine Lehre dranzuhängen. 

Sie mussten noch richtig eine Lehre machen, obwohl sie von der Pike eigentlich alles gelernt hatten?
Ja, ich musste ganz offiziell zweimal die Woche nach Essen zur Berufsschule - furchtbar! Ich hatte Sportunterricht bei einer Tante, einer Berufsschullehrerin, die eine Schulung gemacht hatte, um Sport zu unterrichten. Das war ein bisschen skurril, da ich ja ein Diplom in Sport hatte. Dann sitzt man da in Mathe und fängt mit Addition und Prozentrechnung an. Das war schon etwas schwierig. Insgesamt war es aber gut für mich. Wir haben zum Beispiel mit Modistinnen zusammengearbeitet. Das ist ein artverwandter Beruf, das was im Hutgeschäft eigentlich die Putzmacherin oder der Putzmacher macht. Die putzen den Hut aus, haben eine ganz andere Art zu produzieren. Insofern war es ganz gut, diese Erfahrung zu machen, erstmal woanders gearbeitet zu haben und nicht direkt mit 19 bei Papa in den Betrieb reingekommen zu sein, ohne richtig zu wissen, wie die Welt funktioniert.

Stimmt es, dass Sie die erste Hutmacherin Deutschlands waren?
Genau. Der Hutmacher war eigentlich immer ein reiner Männerberuf gewesen. Es ist ein sehr anstrengender Beruf. Sie ziehen Hüte über Formen und das eben nicht dreimal, sondern 30-, 40-, 50-mal am Tag. Das ist genauso wie bei einem Fliesenleger oder Maurer - für eine Frau körperlich echt anstrengend.

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Mehrere Hunderttausend Stumpen aller Farben hat die Hutfabrik Flemming auf Lager. Sie sind das Rohmaterial, aus denen Hüte gemacht werden. (© Daniel Zakharov)

Was genau ist das Schwierige daran?
Das Ziehen. Ich habe Ihnen gerade Hutstumpen in die Hand gegeben und Sie haben gesagt, dass sie sehr fest sind. Diese müssen aber von Hand über eine Holzform gezogen werden. Das heißt, Sie müssen viel Muskelkraft aufwenden, um sie überzuziehen. Der Stumpen ist dabei auch noch heiß. Klar, die Technik ist auch wichtig, aber vor allem ist es die Muskelkraft. Abends wissen Sie, was Sie getan haben. Das ist eine körperlich schwere Arbeit - die häufigste Verletzung eines Hutmachers ist der Leistenbruch. Deshalb ist Alexander, mein Hutmacher, viel viel schneller, als ich es bin und kann natürlich auch viel mehr Hüte am Tag ziehen. Mein Vater hat hier in guten Zeiten 90 bis 100 Hüte am Tag gemacht. Im Akkord arbeiten wir nicht mehr, wir machen andere Sachen, aber 40 bis 60 werden am Tag schon noch gezogen. Ich persönlich schaffe maximal 30. Aber auch unsere Näharbeiten sind Handarbeit: Wir arbeiten viel mit Zange und Fingerhut. Wenn wir hier ganz große Aufträge haben, bei denen wir unter Zeitdruck sind, dann arbeiten Sie sich auch mal die Finger wund. 

Wie läuft grob der Prozess des Hutmachens ab?
Der Stumpen ist das Rohmaterial, aus dem Hüte bestehen - er ist entweder aus Wolle oder aus Haarfilz. Die Oberfläche kann unterschiedlich verarbeitet sein, man hat zum Beispiel Velour, Antilope oder Biber - alles Haarfilze. Das sind alles Grundmaterialien, die zunächst gestärkt werden müssen. Dafür werden sie in Appretur getaucht. Appretan ist ein Mittel, das wasserlöslich ist und mit Ammoniak pH-neutral gehalten wird. Da gebe ich unterschiedliche Stärkegrade ein: Je mehr Appretan ich dazu gebe, desto höher der Stärkegrad des Hutes. Nach der Appretur muss der Stumpen trocknen, bevor er weiter verarbeitet werden kann. Das dauert zwei bis drei Tage. Danach wird er erneut angefeuchtet und über Nacht in eine Plastiktüte gepackt. Dann wird gezogen: Dafür haben wir einen Dampfkessel - ein großer Kessel mit einem Deckel, in dem unten Wasser steht und es eine Zwischenebene gibt, auf die man etwas abstellen kann. Für acht bis zehn Minuten kommt der Stumpen da rein. Gleichzeitig wird die Holzform bei 80 Grad Celsius im Ofen aufgewärmt. Von Hand wird der Hutstumpen dann über die Holzform gezogen. Wenn ich einen normalen Damen- oder Herrenhut herstelle, wird er meistens mit der berühmt-berüchtigten Hutschnur und Nägelchen erstmal auf der Holzform fixiert. Dann geht er wieder in den Dampfkessel und wird dabei richtig rein gearbeitet die Oberfläche wird ein bisschen mit einer Bürste bearbeitet. Hinterher kommt der Hut zum Trocknen nochmal für eine dreiviertel Stunde in den Ofen. Nachdem der Hut einen Tag entspannt hat, geht es an die Oberflächenbearbeitung. Damit die Oberfläche handschön wird, wird sie zunächst mit einer Bürste und einem Schwabbel [eine Art Bürste, die sich rotiert] glatt gemacht, Schnurschläge [Abdrücke von der Befestigung auf der Holzform] werden ausgedämpft. Jetzt geht es in die Garnitur, bei der zunächst meistens der Rand um- und das Futterband eingenäht wird. Ja und dann kommen diverse Garnituren drauf: Das können Bänder sein, das kann Leder sein, bei Dreispitzen können es Perücken sein, die mit eingearbeitet werden, es werden Litzen oder Knöpfe drauf genäht. Schließlich wird der Hut bei uns in der Endkontrolle überprüft, nochmal nachgesetzt, gedämpft, auf die Kopfhalte gesetzt und evtl. die Appretur überprüft. Wenn alles passt, ist er fertig und kann zum Kunden.

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Links: Eine Holzform für einen Zweispitz, besser bekannt als Napoleonshut . | Rechts: Der alte Ofen, in dem die Holzformen aufgewärmt werden. (© Daniel Zakharov)

Es gibt das Sprichwort „mir reißt die Hutschnur“. Was hat es damit auf sich? 
„Mir reißt die Hutschnur“ oder „mir geht die Hutschnur hoch“. Das hat folgenden Hintergrund: Mit der Hutschnur fixieren Sie den Hut auf der Holzform. Wenn es Ihnen über die Hutschnur geht, dann sind Sie mit dem Treiber abgerutscht und zerreißen damit das Material. Sie haben dann ein Loch in dem Hut, der Stumpen ist kaputt. Danach können Sie ihn wegschmeißen. Wenn Ihnen die Hutschnur reißt, dann war die ganze Arbeit auch umsonst. Das ist früher ganz oft passiert ist, weil man ganz normale Baumwollfäden genommen hat, die nach dem heißen Dampf und dem Trocknen oft durch waren. Dann konnten Sie neu anfangen, das ganze Ding runternehmen und alles vom ersten Arbeitsschritt beginnen. Ganz schlimm ist es, wenn es im Ofen passiert und Sie es nicht merken. Denn dann trocknet der Hut in eine Form, die Sie nicht haben wollen. Das Rohmaterial können Sie danach wegschmeißen, das kriegen Sie nie wieder umgeformt. Das sind Sachen, die sehr ärgerlich sind, daher kommt auch dieser Ausspruch. Und dann gibt es da noch den „verrückten Hutmacher“. Die Bezeichnung stammt aus einer Zeit, als die Appretur auf Basis von Borax (ein Schellack) gemischt wurde. Sobald der aufgekocht war, sind Schwermetalle freigesetzt worden, genauso wie es in Gerbereien passiert ist. Wenn Sie die ganze Zeit mit dieser Appretur hantiert haben, dann sind Sie irgendwann verrückt geworden. Die Leute waren wirklich abgedreht. Das waren giftige Gase und man hat sich nach und nach vergiftet. Der verrückte Hutmacher bei Alice im Wunderland ist also keine Traumfigur, sondern hat etwas mit der Realität zu tun. Der Hutmacher hatte früher wirklich einen an der Waffel. 

Wie viel vom alten Handwerk der Großeltern steckt noch heute in Ihrem Betrieb?
Bei uns steckt ganz viel drin. Ich persönlich habe es bei meinem Vater von der Pike an gelernt. Vom Grundprinzip ist die Herstellung immer noch wie damals. Klar, es gibt natürlich ein paar Abläufe, die sich automatisiert haben. Maschinell herstellen ist aber etwas ganz anderes. Bei der maschinellen Herstellung wird gepresst. Es gibt eine heiße Presse, der Stumpen wird eingesetzt, bei 400 Grad geformt, wieder abgelöst und dann getrocknet. Bei uns wird der Stumpen dagegen feucht gemacht, über eine Holzform gezogen und in einen Dampfkessel gesteckt. Danach trocknet er bis zu einer Stunde bei 80 Grad im Ofen, kann sich dementsprechend „entspannen“. Geht der Hut jetzt in den Regen, hat er nicht die Tendenz wieder die Stumpenform anzunehmen. Durch den Dampf hat er bei uns so viel Feuchtigkeit gesehen, dass er die Form hält. Mach ich das mit einem Hut, der maschinell gepresst ist, dann läuft er im Regen wieder ein. Dieser Effekt entsteht, weil der Hut bei der maschinellen Produktion zu schnell auf die Form gezogen wird, zu schnell erkaltet und die Maschine zu viel Kraft und Druck erzeugt. In den 60ern, 70ern und 80ern, in denen jeder Mann und jede Frau einen Hut trugen, wurden Hüte natürlich in erster Linie maschinell hergestellt. Da war das Handwerkliche nur eine Nebensache. Als der Großteil der Betriebe zunächst nach Polen, Tschechien und dann nach China ging, haben die dort das Handwerkliche natürlich gar nicht mehr gelernt. Und in Deutschland war das Know-how dann auch komplett weg. Es gibt neben mir noch die Firma Wegener, die noch bis vor kurzem ihre Hüte auch hier in Deutschland produziert hat. Im Januar hat die ihre eigene Produktion hier aber auch eingestellt. Die machen immer noch schöne, gute Hüte, aber in Tschechien und Polen. So wie es auch die Firma Mayser und viele andere "Bekannte Namen", machen.

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Links: Skizzen & Entwürfe für neue Hüte. | Rechts: Holzformen und fertige Hüte. (© Daniel Zakharov) 

Also sind Sie die letzte Manufaktur in Deutschland?
Wir sind die letzten, die hier wirklich noch per Hand industriell produzieren. Es gibt kleine Geschäfte, die für sich ihre fünf Hüte machen, aber die schaffen eben keine 40-50 Stück am Tag. Das ist traurig, denn wir haben wahnsinnig viel Arbeit. Ich suche händeringend Leute und würde mich gerne vergrößern, weil wir mittlerweile schon Arbeit ablehnen müssen. Normalerweise war es bei uns immer so, dass wir 3-4 Wochen Lieferzeit hatten, mittlerweile sind wir bei 12-16 Wochen.  

Findet man keine fähigen Leute mehr?
Es ist schwer. Hutmacher ist kein Ausbildungsberuf mehr. Der Hutmacher als Ausbildungsberuf ist mit 86 anderen Berufen abgeschafft worden. Es gibt auch keinen Hufschmied mehr und keinen Stellmacher. Angeblich haben wir deshalb weniger Arbeitslose, aber ich bezweifle das. Ich glaube, dass das Know-how dadurch verloren gegangen ist. Sie haben zwar die Möglichkeit, sich morgen einfach selbstständig zu machen und Hutmacher zu nennen, aber ich glaube nicht, dass sie damit Erfolg haben werden. Ich hätte es schöner gefunden, wenn ich weiterhin die Möglichkeit gehabt hätte, eine Ausbildung anzubieten und jungen Menschen eine Chance zu geben, selbst, wenn es nur wenige Auszubildende wären. Aber so hätten die jungen Leute was auf dem Papier. Selbst wenn sie nicht mehr bei mir arbeiten würden, könnten sie nach Frankreich oder sonst wohin gehen, dort arbeiten oder sich selbstständig machen.

Wie machen Sie das dann?
Wir lernen an - ungelernt und angelernt. Der Alexander, mein Hutmacher, ist jetzt seit 11 Jahren hier. Der hatte vorher auch nichts gemacht, was mit dem Beruf verwand ist. Aber man kann es lernen, es ist keine schwarze Magie - es ist ein Handwerk. Man muss schon mit viel Kraft arbeiten und die ersten zwei Jahre kann man es natürlich einfach noch nicht. Aber man lernt einen Ablauf hier, einen Ablauf dort. Dadurch, dass wir keine Masse mehr produzieren, dauert das Lernen der Schritte natürlich viel länger, weil es mal ein halbes Jahr dauern kann, bis man einen bestimmten Hut wieder machen muss. Nächsten Monat habe ich eine Praktikantin hier, die von einer Bekleidungsschule kommt und ein zweimonatiges Praktikum bei uns macht. Die haben da eine Schulausbildung und lernen schon mal mit der Nähmaschine zu arbeiten, Schnitte zu machen und ähnliches. Nennt sich dann Bekleidungstechnische Assistentin. Ich hoffe, dass man über den Bereich nochmal junge Leute motivieren kann, hier wieder einzusteigen. 

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Hutmacher bei der Arbeit: Alexander Schirotschenko und Ute Flemming. (© Daniel Zakharov) 

Gab es in den 50 Jahren einen Rückschlag, der die Hutfabrik besonders geprägt hat und im Nachhinein vielleicht nach vorne gebracht hat?
Der größte Rückschlag war 1986 - da hat die Bundesregierung in einem Nebensatz ein Gesetz verabschiedet, bei dem die erwähnten Einfuhrbeschränkungen aufgehoben wurden. Innerhalb von einem Jahr waren 4,6 Millionen Beschäftigte arbeitslos. Innerhalb von einem Jahr! Man muss sich das mal vorstellen. Da hat keiner nach gekräht. Danach wurde es natürlich sehr, sehr schwer. Die Hutfabriken sind wie die Fliegen gestorben, genauso wie alle Textilfabriken auch. Für alle war das ein Einschnitt. Sehen Sie, es gibt in Europa zum Beispiel nur noch eine einzige Garnweberei und die steht in Frankreich. Nähgarn, blödes Nähgarn. Das heißt 98 Prozent der Nähgarne, die eine Hausfrau zum Nähen hat, kommt meistens von woanders her. Wenn sie aber irgendwas produzieren wollen, brauchen sie Nähgarne. Das Know-how ist einfach weg. Die Samt- und Seidenstoffe, die wir aus Krefeld oder in Mönchengladbach bezogen, waren weltweit führend. Es gibt keinen mehr auf der Welt, der das in der Qualität herstellen kann, nicht mal ansatzweise. Genauso ist es auch bei den alten Stumpen. Ich kann Ihnen alte Stumpen zeigen, die so schön sind, dass Sie das Lächeln kriegen, wenn Sie das Ding in der Hand haben. Es gibt in der Welt keinen mehr, der das in der Art noch herstellen kann. Mein Vater hat sich dann mehr aufs Handwerk besonnen. Wir haben gar nicht mehr angefangen an die Konzerne zu liefern, weil man mit den deutschen Löhnen und den Auflagen mit Fernost einfach nicht mithalten kann. Das funktioniert nicht. Wir sind also wieder ins Handwerk reingegangen, zurück zum Ursprünglichen und haben Einzelanfertigungen gemacht. Mein Vater musste natürlich Leute entlassen, hat sich auch vom Kompagnon getrennt, der dann etwas ganz anderes gemacht hat. Das gab ein paar ganz harte Jahre. Ja und heute sind wir zu dritt und haben zwei Aushilfen, zwei Heimarbeiter. Wir Frickeln vor uns hin und haben sehr viel zu tun. Die Auftragsbücher sind voll.

"Das ist eine körperlich schwere Arbeit - die häufigste Verletzung eines Hutmachers ist der Leistenbruch."

Woher beziehen Sie die Materialen für die Hüte?
Das ist ein ganz großes Problem. Heutzutage gibt es in Westeuropa keine Filzfabriken mehr. In Tschechien gibt es noch welche. In Russland auch, aber mit denen habe ich meine Probleme, weil wenn ich Grün bestelle, möchte ich Grün haben und nicht Hellblau. Genauso wenn ich 14 Stück bestelle, brauche ich 14 Stück und nicht 34 oder 12. Wir haben zwei Unternehmen ausprobiert und kommen damit nicht klar. Ich weiß nicht woran das liegt, vielleicht sind wir denen zu klein, bestellen keine 1000 Stück. Die Ware, die sie machen ist gut, es funktioniert aber von der Kommunikation her einfach nicht. Ganz viele Filzfabriken gibt es in China und Bangladesch. Mit China möchte ich aber nicht arbeiten. Ich habe gesehen, wie die Sachen dort hergestellt werden und das ist bei mir pure Überzeugung, dass ich das unter keinen Umständen unterstützen möchte. Meine Ware bekomme ich ausschließlich aus Amerika. Sie ist zwar etwas teurer, aber der amerikanische Markt ist geschützt, die haben Umweltauflagen und Auflagen für Arbeitszeiten. Ich muss die Ware zwar immer in einer Menge ab 300 Stück pro Farbe, Form oder Grammzahl bestellen und brauche drei Monate Vorlauf, dafür klappt aber alles reibungslos. Da haben wir nie Reklamationen - die Ware kommt hier pünktlich an und die Farben stimmen auch exakt. Wenn ich eine RAL-Farbe [normierter Farbkatalog der RAL GmbH] angebe, kriege ich auch eine RAL-Farbe und nicht irgendwas Zusammengemischtes. Die Qualität stimmt einfach. 

Außerdem haben wir ein wahnsinnig großes Lager. Ich habe Ihnen eben erzählt, dass viele Hutfabriken Pleite gegangen sind. Mein Vater hat sein ganzes Privatvermögen investiert und Stumpen und Hüte von anderen  Firmen aufgekauft. Wir haben sehr viel Material aufgekauft und heute ein Lager mit einigen 100.000 Stumpen hier. Dementsprechend kann ich alle Bonbonfarben abdecken. Das ist wichtig, weil das Färben in Deutschland verboten ist und wir keine Möglichkeit haben, umzufärben. Wenn jetzt zum Beispiel ein Theater kommt und für ein Theaterstück drei gelbe Hüte braucht und ich 300 Stück aus Amerika bestellen müsste, dann würde das bei jedem Theater das Budget sprengen. Sie müssen rechnen, ein einfacher Filzstumpen fängt bei 10-20 Euro an, ein Dreispitzfilz kostet direkt 35, das ist etwas ganz anderes. Ein Haarfilz liegt bei 25 bis ungefähr 55 Euro. Biberfilz ist sogar noch teurer und kann bis zu 70 Euro das Stück kosten.

Unser Grundproblem sind also nicht die Aufträge, sondern die fehlenden Fachleute, das Material und die Maschinen. Wie Sie sehen, haben wir ganz alte Maschinen hier. Die haben wir ganz bewusst, weil es nichts Neues mehr gibt. Die werden bei uns gehegt, gepflegt und selbst repariert. Ich habe diverse alte Maschinen auf Lager liegen, habe gerade auch welche von der Firma Wegener aufgekauft. Vielleicht werde ich sie nie nutzen, aber ich habe sie mir für den Fall hingestellt, dass irgendwas kaputt geht und mir ein Ersatzteil fehlt. Es gibt keinen Hersteller mehr, der mir diese Maschinen reparieren oder ersetzen kann.  

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Die meisten Karnevalsgarden in Köln lassen ihre Hüte in der Hutfabrik Flemming fertigen. Hier wird an einem Hut für die "Roten Funken" gearbeitet, mit einer Perücke aus Büffelhaar. (© Daniel Zakharov) 

Was lieben Sie an diesem Prozess? Warum macht Ihnen der Beruf so viel Spaß?
Grundsätzlich macht es mir Spaß, etwas zu produzieren. Zu sehen, dass ich etwas getan habe, wenn ich am Ende des Tages nach Hause gehe. Der Horrorberuf wäre für mich Sachbearbeiter in irgendeinem Büro gewesen, wo ich den ganzen Tag Akten von rechts nach links schiebe. Wir haben ein Produkt, wir stellen dieses Produkt her. Es macht sehr viel Spaß, die Wünsche des Kunden umzusetzen. Dabei sind Sie nicht zwingend kreativ. Interessant wird es aber, wenn ich zum Beispiel einen Entwurf vom Theater bekomme und mir denke: „Ach Herrje, wie soll das denn gehen?“. Wir hatten mal Hüte gemacht, die einen Duschvorhang vorne dran haben sollten. Der Duschvorhang sollte geschlossen sein und damit er beim Öffnen nicht vom Kopf fällt, musste ich mit einem Gegengewicht arbeiten, dabei aber auch drauf achten, dass das Gegengewicht so sitzt, dass der Hut nicht nach hinten fällt. Oder wir haben für ein Theater „Monster“ angefertigt - das waren Hüte mit 1,80 m Durchmesser. Da geht einer mit der Nadel von der einen Seite rein und ein anderer muss auf der anderen Seite wieder raus, weil sie nicht immer um den Hut herumlaufen können. Solche Aufträge machen Spaß. Das Schöne ist, wenn der Kunde zufrieden ist und Sie sich einen Ruf erarbeitet haben, wo die Kundschaft wiederkommt. Natürlich hat man immer welche bei, die unzufrieden sind, aber prozentual gesehen, ist das bei uns im Promillebereich. Es ist natürlich auch schön, sein eigener Herr zu sein.

Wer sind heute Ihre Kunden? Welche Art von Hüten sind heute gefragt?
Alles, was nicht aus China kommt. Wir arbeiten heutzutage sehr viel für den Karneval, nicht nur in Köln, sondern auch Düsseldorf und Mainz. Darunter sind ganz viele Karnevalsgarden. Die großen Garden wollen eine gewisse Qualität haben. Wenn sie hier an Rosenmontag acht Stunden Regen haben, dann muss der Hut halten. Generell soll er ja 15-20 Jahre halten und das bei bis zu 120 Auftritten in der Session. Also muss die Qualität stimmen, was bei der Preiskategorie aber auch Pflicht ist. Wenn Sie eine Gardeuniform im Karneval nehmen, dann sind Sie bei 3000-6000 Euro und da hat auch so ein Hut mit Federbusch einen gewissen Preis. Der günstigste Hut im Kölner Karneval ist der Jan von Werth Hut mit 285 Euro, weil der keine Perücke dran hat. Der teuerste ist der Blaue Funken Hut mit Federbusch - da sind sie bei 650 Euro. 
Dann machen wir sehr viel für den Dressurbereich: Damensattel-Reiten, Barockreiten, Dressurreiten. Dafür werden oft Zylinder, Melonen und ähnliches hergestellt. Ein weiteres großes Standbein ist bei uns der Jagd- und Schützenbereich. Das sind Leute, die den Hut jeden Tag anhaben und sehr gut unterscheiden können, ob es die Qualität von etwas Handgefertigtem ist oder einem maschinell Hergestelltem. Da muss man einfach sagen, dass der chinesische und fernöstliche Markt noch nicht darauf eingestellt sind.

Noch nicht? Meinen Sie, dass sich das ändern wird?
Weiß ich nicht. Wenn ein großer Kundenstamm nachfragt - ja. Aber das Know-how muss dort erstmal erarbeitet werden. Das ist dort noch nicht vorhanden oder eben weg.

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Links: Verschiedene Bürsten zum Bearbeiten der Hutoberfläche. | Rechts: Hüte für das Reiter-Korps Jan von Werth. (© Daniel Zakharov) 

Bestellen alle Karnevalsgarden in Köln bei Ihnen?
Die meisten. Es gibt welche, die bestellen die Hüte über ihren Schneider von uns. Außerdem gibt es in Tschechien jetzt einen Hutmacher, der sich drauf eingeschossen hat. Der macht aber immer die gleiche Form und wir haben alleine in Köln 17 verschiedene Arten von Dreispitzen. Wenn ich das mit nur einer Form mache, dann wird das nichts. Bei uns hat man auch den Vorteil, dass die Hüte auch in Stand gehalten werden. Da werden alte Leder rausgetrennt, da wird die Form mal korrigiert, da wird mal appretiert und gereinigt. Das können und wollen die in Tschechien nicht. Das heißt, wenn Sie dort ein Ding kaufen, mag das vielleicht 50 oder 100 Euro billiger sein als bei uns, aber wenn der Hut kaputt geht, ist er kaputt. Irgendwo reißt ihnen eine Lasche weg, dann haben sie keine Chance. Ich kann an die Teile dann auch nicht rangehen, weil die maschinell hergestellt sind und wenn ich da mit meinen heißen Dampf rangehe, wird das nicht funktionieren. Außerdem ist meine Holzform etwas anders, und wenn die auch nur um ein paar Millimeter abweicht, dann kriege ich die Hüte bei mir nicht drauf.

Was ist generell der teuerste Hut bei Ihnen?
Das kann man schwer sagen. Da oben sehen Sie einen Hut von Rudi Riese. Der hat einen 75 cm hohen Zylinder, den wir mit Stoff spannen mussten und in vielen Arbeitsschritten angefertigt haben. Das Ding hat weit über 2000 Euro gekostet. Das geht bei uns natürlich nach dem Arbeitslohn. Ich hab Ihnen erklärt, wie viel das Material kostet, aber im Verhältnis zum Arbeitslohn ist es eigentlich das Geringste. Die Arbeitszeit und der Arbeitslohn sind das Teure.

Warum ist das Hutmachen dennoch ein aussterbender Beruf? Was hat sich in den letzten 50 Jahren verändert?
Also das Problem ist nicht, dass der Hut heute nicht mehr im Trend wäre. Damit hat es nichts zu tun. Grundsätzlich ist es so: Wenn wir in Europa unsere Textilien selber herstellen müssten, dann würden wir nackig rumlaufen. Das würde nicht gehen. Das muss man so deutlich sagen. Das beinhaltet auch Hüte. Was der H&M an Hüten umsetzt, das könnten wir nie stemmen. Das große Problem für die Hutmacher war, dass 1986 die Umwälzung so schlagartig kam. Die meisten Konzerne standen auf einmal mit 1000 Leuten da und die Aufträge waren weg. Da hat man auch keine Möglichkeit gehabt, die mit etwas anderem zu beschäftigen. Sie konnten nicht peu a peu Stellen abbauen und sich langsam ummodeln. Viele sind dann wirklich schlagartig Pleite gegangen. Das andere Problem betraf die großen Hut-Dynastien. Da gibt es die Seeberger, die Diefenthaler, die Wegener, die Mayser, die teilweise acht oder neun Generationen Hutmacher haben, nicht vier wie bei uns. Aber bei denen war natürlich von vornherein sehr viel Geld vorhanden. Wenn wir nicht das Schicksal mit Berlin gehabt hätten, dann hätten wir 68 auch anders anfangen können. Viele Kinder aus den Dynastien haben nur noch Kaufmann gelernt, weil der kaufmännische Aspekt natürlich viel wichtiger als der Handwerkliche ist, wenn ich einen Betrieb mit 1000 Leuten führen muss. Wenn ich aber nur das Kaufmännische von meinen Eltern übernommen habe, dann kann ich das Handwerk nicht. Dadurch, dass ´86 alles so plötzlich kam, blieb denen auch keine Möglichkeit wieder auf Handwerk umzuschulen. Ich glaube, das war das große Problem. 

"Der verrückte Hutmacher bei Alice im Wunderland hat etwas mit der Realität zu tun. Der Hutmacher hatte früher wirklich einen an der Waffel."

Gibt es diese großen Dynastien nicht mehr?
Die Dynastien gibt es schon noch, aber alle nur noch im Handel. Das heißt, die machen hier eine Musterung, verkaufen hier, lassen aber auswärts produzieren. Mayser ist noch hier und sie machen noch immer schöne Hüte, super Hüte sogar. Früher waren es aber die Besten, würde ich behaupten. Heute ist es nett, aber es ist eben nicht mehr von Hand gemacht und auch nicht mehr in Deutschland gefertigt. Eventuell wird hier mal eine Garnitur mit der Maschine drauf genäht. Halte ich für schwierig, wenn es um eine deutsche Produktion geht. 

In Köln waren in den 70er Jahren 4000 Leute in Hutfabriken tätig. Heute sind sie eine der letzten Hutfabriken Deutschlands. Was ist das Erfolgsrezept der Hutfabrik Flemming? Was haben Sie anders und besser gemacht als die Konkurrenz?
Dass mein Vater sich wieder aufs Handwerkliche besonnen hat und komplett von der industriellen Fertigung weggegangen ist. Mein Vater war ein Handwerker, kein Kaufmann. Er konnte das Kaufmännische gut, aber primär war er Hutmacher. Das hat er von der Kindheit an gelernt und konnte Hüte machen, bei denen die großen Fabriken gesagt haben: „Machen wir nicht“.  Sie müssen sich das so vorstellen: Bei einer maschinellen Fertigung brauche ich für das Wechseln einer großen Form zwei Stunden. Mach ich jetzt drei Hüte auf drei verschiedenen Formen, bin ich tausend mal schneller, als jede Hutfabrik, die maschinell produziert. Da hat mein Vater den Schwung in die richtige Richtung bekommen. Gerade der Jagd- und Schützenbereich hat einen sehr individuellen Bedarf. Der eine Schützenverein will die Hüte zum Beispiel in Blau-Grün, ein anderer in Grün-Grün und der nächste möchte einen braunen Einfass haben. Durch sowas kann man überleben. In den 80ern bis Mitte der 90er ging es uns wirklich schlecht, alles ist auf China gegangen. Aber dann kam auch das Umdenken in der Bevölkerung. Im Jagdbereich waren das die ersten, die auf die handwerkliche Fertigung zurückgekommen sind. Für den Karneval hatten wir eh schon vorher viel gemacht, zumindest in Köln. Das hat sich immer weiter rumgesprochen, nach und nach sind immer mehr Leute zu uns gekommen. Hinzu kam, dass immer weniger Fabriken das Handwerkliche angeboten haben. Viele sind Pleite gegangen, weil der Nachwuchs nicht mehr da war. Die haben sich immer weiter verkleinert und irgendwann war kein Nachfolger mehr da, wenn die alten Hutmacher in Rente gegangen sind. Also schließt die Produktion. Das sind alles individuelle Schicksale. Schade, dass es so ist, ich hätte gerne noch fünf Hutfabriken neben mir, weil es zum Teil einfach nicht mehr zu schaffen ist.

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Hunderte von alten Holzformen türmen sich in der Hutfabrik bis zur Decke. Viele davon eine absolute Rarität. (© Daniel Zakharov) 

Was war in all den Jahren der schönste Moment / das größte Highlight für die Hutfabrik? Worauf war man besonders stolz?
Es gibt viele schöne Aufträge. Stolz bin ich immer, wenn ich ein Feedback vom Kunden kriege. Wenn man eine E-Mail bekommt, in der der Kunde schreibt: „Mensch, das war ganz toll!“. Oder wenn man einen Anruf bekommt, in dem der Kunde erzählt: „Ich trage den Hut so gerne!“. Wir gehen oft auf Messen, zum Beispiel Jagd- und Reitmessen. Dort sind wir direkt am Kunden dran und das macht Spaß, weil man das Feedback direkt mitkriegt. Das ist sehr schön. Wenn sie begeisterte Kunden haben, dann macht das natürlich Freude. Highlights von den Aufträgen her gibt es zu viele. Was immer wieder toll ist in Köln, sind zum Beispiel die Aufträge vom Hänneschen Theater. Das sind Puppenhütchen, Sie brechen sich die Finger ab, wenn Sie die machen. Aber das macht total Spaß. Dadurch, dass wir eben keine Masse mehr produzieren, ist unsere Arbeit so individuell, dass es viel Spaß macht. Wenn wir mal Aufträge bekommen, die mehr als 50 Stück haben, dann wird es monoton. Es gibt viele schöne Sachen: Zum Beispiel viele Vereine, die mit einem Kostüm hierhin kommen und einen Vorschlag haben möchten oder auch Bräute, die für ihr Kleid etwas Passendes brauchen…

Welche Vorteile hat ein handgemachter Hut?
Es ist die andere Art der Herstellung. Wenn Sie, wie bei uns, den Stumpen richtig nass machen und ihn dann im Dampfkessel auf der Form eine Stunde lang erkalten lassen, dann ist das qualitativ viel besser. Da aber alle auf Masse produzieren, ist es für die Unternehmen wichtiger, dass man am Tag keine 580 Hüte produziert, sondern 1022. Dementsprechend werden wichtige Schritte weggelassen, wodurch die Qualität natürlich leidet, was auch völlig ok ist, wenn Sie nur ein Modeaccessoire brauchen, das sie lediglich dreimal im Jahr tragen. Dann ist es nicht so schlimm, denn dann werden Sie den Unterschied nicht merken. Der Hut rutscht vielleicht und drückt ein bisschen, aber Sie merken es nicht wirklich. Ziehen Sie ihn eine Woche lang an, merken sie sofort, dass das Ding Mist ist. Und ob es ökologisch sinnvoll ist, das ist nochmal ein anderes Thema.

Tragen Leute heute überhaupt noch Hüte?
Ja, sehr viele sogar. Wenn Sie sich auf den Straßen richtig umgucken, dann sehen Sie das. Die Leute werden wieder viel individueller, möchten sich selbst ausdrücken. Man macht nicht mehr diesen 80er Wahn mit, wo in der Mode ein Jahr alles Rot-Schwarz getragen wurde und das nächste dann alles Grau-Lila. Das gibt es heute nicht mehr. Heute sind es ganz viele Stile in der Mode. Der eine läuft lässiger rum, der andere schicker, der nächste im Rockabilly-Style oder ein bisschen punkiger. Da gibt es alle möglichen Moderichtungen und da sind Hüte auch immer ein schönes Accessoire. 

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Hutfabrik Flemming: Quality made in Köln-Ehrenfeld. (© Daniel Zakharov)

Kommen wir zu Köln. Was schätzen und lieben Sie an der Stadt?
Ich bin hier geboren und bin Kölnerin durch und durch. In meiner Familie bin ich die einzige, die in Köln zur Welt gekommen ist. Ich finde, dass Köln eine unglaublich schöne, lebendige Stadt ist, die sehr viele Facetten hat. Die Menschen sind sehr offen, sehr zugänglich. Sie haben hier überhaupt keine Probleme, Leute kennenzulernen. Dann finde ich, dass Köln von der Lage in Deutschland sehr schön liegt. Ich fahre privat gerne Motorrad, da ist es sehr schön mit dem Bergischen und der Eifel drumherum. Auch klimatechnisch ist es sehr schön hier. Die Infrastruktur von Köln ist auch ganz gut. 

Was ist typisch Kölsch / Köln?
Es gibt drei Dinge in Köln, da kommen Sie nicht vorbei, ob Sie wollen oder nicht: Das ist der Karneval, das ist der Dom und das ist der FC. Da können Sie sich noch so gegen wehren. Ich habe mit Fußball nichts am Hut, aber ich weiß trotzdem, wo der FC spielt, wie er spielt, ob er aufsteigt oder absteigt - das kriegt jeder mit. Der Dom ist natürlich omnipräsent. Den haben Sie überall, wo es um Köln geht. Den hat auch, finde ich, jeder Kölner mit im Herzen - ob Christ oder nicht, ist in dem Fall völlig egal. Ja und der Karneval macht natürlich auch Köln aus. Ich finde es schade, dass der sich im Moment ein bisschen spaltet, zwischen dem traditionellen Sitzungskarneval und diesem, Entschuldigung den Ausdruck, „Arsch-voll-toll-Publikum“. Ich finde es bedauerlich, dass der Karneval immer mehr zu diesen Ballermann-Partymeilen verkommt und hoffe, dass da gegen gewirkt wird. Wenn man sich das anguckt, hat der Karneval eine sehr lange Tradition. 1823 hat der erste Rosenmontagszug stattgefunden. Gucken Sie Sich die Roten Funken an - die stammen aus dieser Zeit, ebenso die „Heiligen Knäächte un Mägde“. Diese Gruppen gibt es heute noch. Wenn Sie sich überlegen, dass jeder, der da auf der Bühne steht und mit seiner Uniform ein bisschen hin und her marschiert, eine Tradition von 200 Jahren mitbringt, dann empfinde ich das schon als eine sehr, sehr bemerkenswerte Leistung. Wenn man sich vorstellt, 200 Jahre, das sind etwa 9-14 Generationen. Das ist eine tolle Sache, die da weitergegeben wird. Der Karneval ist auch der Ursprung der kölschen Musik. Manche der Inhalte gehen noch auf Überlieferungen aus dem Mittelalter zurück. Die Minnesänger haben früher Lieder gesungen und die Geschichten sind in den Karneval eigegangen. Das hat keine andere Stadt in Deutschland. So etwas Ähnliches gibt es vielleicht noch in Wien und in Paris.

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Zylinder und Melonen im Lager der Hutfabrik Flemming. (© Daniel Zakharov) 

Also sehen Sie die Entwicklung momentan eher kritisch?
Ich glaube, es wird sich selbst bereinigen. Es gibt unterschiedliche Phasen und die Richtung ändert sich gerade wieder. Es gab jetzt eine Konsumphase mit „Geiz ist geil“ und Flatrate-Saufen, wo es jedem nur darum ging, so viel mitzunehmen wie er nur kann, ohne Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen. Aber bei den Leuten beginnt ein Umdenken einzusetzen, zum Beispiel in der Ernährung. Sie hinterfragen: Was esse ich eigentlich und wo kommt das her? Genauso auch bei den Textilien. Es wird ganz oft gefragt, wo und wie die Sachen denn produziert werden. Dieser Konsum, dieses „ich-nehme-alles-mit“ wird sich wieder reduzieren und genauso wird man sich sagen: Nee, ich muss Karneval nicht jeden Abend saufen gehen und ich muss auch nicht nur das machen, was umsonst ist. Lieber habe ich zwei Sitzungen, wo ich mir Karten für kaufe und habe das exklusiv für mich, im kleinen Rahmen, wo keiner bei ist, der mich anpöbelt oder sonstiges. So war es auch früher. Da gab es die „Lachende Sporthalle“ oder die Volkssitzung auf dem Neumarkt, die dafür da waren, den Leuten, die nicht so viel Geld hatten, den Karneval näher zu bringen. Dementsprechend war es jedem möglich, die Größen des Karnevals wie die Bläck Föööss oder die Höhner zu sehen, ohne dabei 50 DM für eine Karte bezahlen zu müssen, nebenbei noch Weinzwang zu haben und am Ende insgesamt an die 100 DM ausgegeben zu haben. Das konnte sich keiner leisten. Heute gibt es eine „Lachende Kölnarena“, die glaube ich, über 30 mal im Jahr stattfindet und immer ausverkauft ist mit 18.000 Mann, wo eine Karte 40 Euro kostet. Da denke ich immer, dass der Grundgedanke, wo es eigentlich herkommt, vollkommen weg ist. Heute geht das alles sehr über den Kommerz und über Massenveranstaltungen. Ich persönlich mag die nicht, aber es bleibt ja auch jedem frei überlassen dahin zu gehen und dementsprechend damit auch seine Meinung kundzutun, indem er sagt: Ich will die Veränderung in diese Richtung oder eben nicht. Schön sieht man das zum Beispiel an Ehrenfeld. Ehrenfeld wandelt sich jedes Jahr mehr. Vor 30 Jahren war das eine ganz üble Gegend hier, da konnten Sie abends nicht über die Straße gehen. Wir hatten hier eine sehr hohe Kriminalität. Das war eine ganz klassische Arbeitersiedlung. Heute leben hier sehr viele Studenten, sehr viele Künstler, viele Familien mit Kindern. Es ist eben sehr schön gemischt. Ehrenfeld ist ganz anders als viele andere Veedel. Große Massenveranstaltungen haben wir hier nicht. 

Gibt es einen speziellen Ort / eine Lokalität in Köln, den / die Sie besonders mögen?
Ja klar, der Gürzenich gehört für mich ganz klar zu den Highlights, genauso wie die Sartory-Säle. Auch die Wolkenburg finde ich toll. Das sind eben alles alte, traditionelle Gebäude und Säle, die für mich viel ausmachen. Dann finde ich alles, was alt ist, toll - zum Beispiel das Heliosviertel. Schade, dass jetzt ein Teil abgerissen wird, aber es musste neugestaltet werden. Die Leute die da drin waren, haben nicht wirklich investiert. Wenn ich zum Beispiel das Underground nehme - natürlich war das eine Domäne, aber das hätte eben schon lange, lange, lange saniert werden müssen. Und das ist eben nicht passiert. 

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Ehrenfeld, das Lieblingsveedel von Ute Flemming. Das Veedel ist bekannt für viele Altbauten. (© Daniel Zakharov) 

Köln hat 86 Stadtteile. Haben Sie ein Veedel, das Sie besonders favorisieren?
Ja klar - Ehrenfeld. Logisch. Das ist meins, hier fühle ich mich wohl. Ich bin vor kurzem erst hierhin gezogen, vorher habe ich privat woanders gewohnt. Mir gefällt es, wie es sich hier entwickelt. Was ich in Ehrenfeld schön finde ist, dass viele alte Gebäude erhalten bleiben und einfach saniert werden. Wenn Sie sich hier die Straße angucken, dann sehen Sie ein paar Häuser mit einer Denkmal-Plakette vorne dran. Und gucken Sie sich unsere Fabrik an - das erste Gebäude ist um 1840 gebaut worden. Nach dem Krieg war hier vieles ausgebombt, neue Gebäude wurden dran und drüber gebaut. Wenn Sie hier mal über die Dächer schauen, dann sehen Sie das auch. Das ist in Ehrenfeld, Gott sei Dank, noch ganz oft so. Es wird zwar auch viel Wohnraum geschaffen, was wichtig ist, aber es ist schön, dass es eben gemischt bleibt.

Was gefällt Ihnen nicht an Köln und was würden Sie ändern, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?
Was mir nicht gefällt an Köln, sind die vergessenen Plätze. Der Ebertplatz ist ein gutes Beispiel. An sich ist es ein schöner Platz, aber die steigende Kriminalität auf dem Platz macht ihn unattraktiv. Dagegen muss vorgegangen werden. Das erfordert natürlich eine Wahnsinnspräsenz und ein Riesenaufwand, aber es geht. Das sieht man ja auch am Beispiel der Ringstreife. Auf den Ringen hat sich da sehr viel getan. Man kann sich abends auch als Frau wieder frei bewegen, ohne Angst zu haben. Dann muss ich auch noch klar sagen, dass die Sauberkeit der Stadt zu wünschen übrig lässt. Es gibt andere Städte, die haben das besser im Griff. Das beginnt damit, dass man mehr Mülleimer hinstellen und sie häufiger leeren könnte. Da würde ich an Köln gerne was ändern, damit es für jeden Bürger schöner wird.

"Vor 30 Jahren war Ehrenfeld eine ganz üble Gegend."

Ich bin Fotograf. In der heutigen Zeit sind Fotos allgegenwärtig. Wie nehmen Sie das Medium Fotografie persönlich wahr und wie nutzen Sie selbst das Medium?
Grundsätzlich finde ich Fotografie ganz toll. Bei mir im Flur habe ich zum Beispiel ganz alte Fotografien von Köln aus der Jahrhundertwende hängen. Fotografie stellt immer eine Momentaufnahme dar und wenn der Fotograf richtig gut ist, kann das unglaublich toll sein. Man kann Situationen durch ein Foto ganz anders darstellen, als es in der Realität vielleicht war. Es ist ein unheimlich spannendes Medium, allerdings finde ich es schade, dass die eigentliche Grundidee durch das Digitale ein bisschen verloren gegangen ist. Vorher musste sich der Fotograf sehr gut überlegen, was genau er fotografiert, weil er ja nicht sehen konnte, wie es aussehen wird. Durch die Digitalfotografie ist vieles einfacher geworden. Viele Fotografen arbeiten ohne Ausbildung und jeder arbeitet irgendwie frei los. Ob das gut ist oder schlecht, kann ich nicht beurteilen. Aber genauso wie der Hutmacher, muss ein guter Fotograf sein Handwerk beherrschen. Ich selbst nutze Fotografie für den Urlaub und für den Betrieb hier ein bisschen. Aber das ist alles „Ritsch-Ratsch-Klick“, wie ich dazu immer sage. Ich bin keine Fotografin, aber ich finde es toll, wenn man es kann. Das ist ähnlich wie mit dem Malen, das ist für mich eine Kunstform.

Zum Schluss. Wie sehen Sie die Zukunft der Hutfabrik in Zeiten der Digitalisierung und Automatisierung?
Ich mache mir um uns keine Sorgen. Wenn ich kaufmännisch nicht völlig daneben liegen sollte und das Ding hier in den Sand fahre, dann sehe ich auch in den nächsten zwanzig Jahren nicht, dass wir Probleme mit unserer Auftragslage bekommen.

Das Interview mit Ute Flemming ist Teil meines Projektes "Köln - 86 Veedel" und ist in verkürzter Form auch in meinem Buch "Vollkommen. Köln. 86 Veedel" zu finden. Mehr dazu - HIER

Links:
Mehr zu Ute Flemming gibt es auf der Webseite www.hutfabrik-flemming.de und auf ihrer Facebook-Seite